13. Juni 2022
Am 31. März 2021 wurde in Mainz in einem umfänglichen Verhandlungsergebnis für unsere Verhandlungsgemeinschaft M+E MITTE die bundesweit erste 1:1-Übernahme des am Vortag in NRW erzielten Pilotabschlusses vereinbart – einem als Pandemie-angepasst fair beurteilten Abschluss mit langfristiger Planungssicherheit aufgrund seiner Laufzeit von 21 Monaten unter Verzicht auf eine Erhöhung der Tabellenentgelte. Bis zum 30. September 2022 gilt somit unverändert die Entgelttabelle vom 9. Februar 2018.
Neben einer wertschätzenden Corona-Beihilfe für die Beschäftigten beinhaltet er allerdings schmerzhafte Sonderzahlungen, mit denen sich strukturelle Folgen abmildern lassen. So wurde über den Änderungstarifvertrag zum Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld (TV T-ZUG) eine neue tarifliche Sonderzahlung „Transformationsgeld“ (T-Geld) von 18,4 % einer Monatsvergütung im Februar 2022 und 27,6 % einer Monatsvergütung ab dem Kalenderjahr 2023 geregelt. Daneben wurde aber eine Entlastung für das Jahr 2021 vereinbart mit der Ergänzungsvereinbarung zum Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld (TV T-ZUG), die den Auszahlungszeitpunkt für das Tarifliche Zusatzgeld T-ZUG (B) für das Jahr 2021 von Juli auf Oktober verschoben hat sowie mit der „Besonderen Differenzierung 2021“ erstmals ein besonderes mit der Nettoumsatzrendite unter 2,3 % „fest verdrahtetes“ Verfahren zur Differenzierung des T-ZUG (B) für Betriebe in wirtschaftlichen Schwierigkeiten vorsieht.
Nachfolgend soll daher ein Überblick zur Nutzung und zu den Erfahrungen in der Umsetzung dieser Besonderen Differenzierung gegeben werden sowie auf weitere sich aus dem Verhandlungsergebnis ergebende „Hausaufgaben“ der Tarifvertragsparteien.
So resultierte aus der Gemeinsamen Erklärung zur Bedeutung des Fachkräftenachwuchses ohne Einbeziehung Dual Studierender in die Tarifverträge eine Pflicht zur Evaluierung und aus einer Vereinbarung der Tarifparteien der Auftrag, die bestehenden Tarifverträge auf Arbeitsebene zu überprüfen, ob und wenn ja wie sich diese moderner, verständlicher und einfacher handhabar fassen lassen.
Besondere Differenzierung des T-ZUG (B) 2021
Das in der Ergänzungsvereinbarung zum Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld vom 31. März 2021 geregelte besondere Differenzierungsverfahren für das T-ZUG (B) zeichnet sich dadurch aus, dass anhand einer betriebswirtschaftlichen Kennzahl (Nettoumsatzrendite) der Arbeitgeber allein darüber entscheidet, ob das T-ZUG (B) des Jahres 2021 (353,75 Euro für Vollzeitbeschäftigte) ausgezahlt oder aber gestrichen wird. Erstmalig konnte eine solche Art der Differenzierung („fest verdrahtet“) in der M+E-Industrie tariflich geregelt werden – dies allerdings nur für das T-ZUG (B) im Jahr 2021.
Daneben blieb auch die Differenzierungsregelung gem. § 3 TV T-ZUG anwendbar. Somit konnten Arbeitgeber, die die Voraussetzungen der besonderen Differenzierung nicht erfüllen, die dauerhaft im TV T-ZUG verankerte „normale“ Differenzierung – also mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien – nutzen.
Unabhängig von der Nutzung der besonderen Differenzierungsmöglichkeit wurde die Fällig-keit des T-ZUG (B) für alle Arbeitgeber von Juli 2021 auf den Abrechnungsmonat Oktober 2021 verschoben.
Bis spätestens vier Wochen vor Fälligkeit des T-ZUG (B) im Oktober 2021 konnte der Arbeitgeber dann die Auszahlung um bis zu sechs Monate verschieben (also bis maximal April 2022). Voraussetzung hierfür war das Vorliegen einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Die Einschätzung, ob eine solche Situation gegeben war, oblag dem Arbeitgeber. Richtschnur konnte hier bereits die Kennzahl einer Nettoumsatzrendite von unter 2,3 % sein, die dann später die Grenze für die Nicht-Auszahlung des T-ZUG (B) markiert. Die Verschiebungsentscheidung hatte der Arbeitgeber lediglich den Tarifvertragsparteien anzuzeigen.
Bei PfalzMetall gingen zur Weiterleitung an die Bezirksleitung der IG Metall Mitte insgesamt neun Verschiebungsanzeigen von Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen ein – was der bundesweiten Nutzung dieser Option von ca. zehn Prozent der M+E-Unternehmen entspricht. Die Verschiebungszeiträume gingen über drei bzw. fünf Monate (Einzelfälle) im Übrigen auf die längstmögliche Verschiebung um sechs Monate auf April 2022.
Obwohl so in der entsprechenden Ergänzungsvereinbarung zum TV T-ZUG vom 31. März 2021 nicht vorgesehen, wurde eines unserer Mitgliedsunternehmen im Zuge der Eingangsbestätigung von der IG Metall Bezirk Mitte unter Fristsetzung aufgefordert, in einer schriftlichen Stellungnahme „die Dimensionen und Ursachen der Situation sowie die durch das Unternehmen ergriffenen Maßnahmen zu deren Beseitigung“ zu erläutern. Die Stellungnahme sei „zwingend durch Unterlagen zu ergänzen, welche dazu geeignet sind, die schwierige wirtschaftliche Situation zu belegen.“ Im Rahmen der Abstimmung innerhalb der in der Verhandlungsgemeinschaft M+E Mitte zusammengeschlossenen Verbände traten weitere Fälle gleichlautender Anschreiben zu Tage, was uns bei Übersendung der Stellungnahme an die IGM Bezirksleitung neben dem Ausdruck des Befremdens zum klarstellenden Hinweis veranlasste, dass dies so tarifvertraglich nicht geregelt sei und die überaus moderate Inanspruchnahme der Verschiebungsoption Beleg für den verantwortungsvollen Umgang mit diesem neuen Differenzierungsinstrument sei.
Die als Kennzahl vereinbarte „Nettoumsatzrendite“ ist eine verbreitete Bilanzkennzahl in der deutschen Rechnungslegung nach Handelsgesetzbuch (HGB) und beschreibt bekanntlich das Verhältnis des sich aus der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) ergebenden Jahresüberschusses zu den sich ebenfalls aus der GuV ergebenden Umsatzerlösen.
Die wirtschaftliche Situation und damit die Nettoumsatzrendite war mit dem Betriebsrat vor der endgültigen Nichtauszahlung des T-ZUG (B) anhand geeigneter Unterlagen in einem Gespräch zu erörtern. Nach erfolgter Erörterung hatte der Arbeitgeber vor der Fälligkeit des T-ZUG (B) (spätestens im April 2022) seine Differenzierungsentscheidung zu treffen. Möglich war sowohl die Komplettstreichung als auch eine Reduzierung des T-ZUG (B). Die Entscheidung sollte gegenüber Betriebsrat und Beschäftigten kommuniziert werden.
Die abschließende Entscheidung des Arbeitgebers, das T-ZUG (B) entfallen zu lassen, war wiederum den Tarifvertragsparteien anzuzeigen. Diese Notwendigkeit ergab sich letztlich nur in vier Fällen, da in allen übrigen Fällen die Entscheidung der Unternehmen für die (teilweise sogar vorfällige) Auszahlung des verschobenen T-ZUG (B) getroffen wurde – dies in mehreren Fällen sogar trotz Unterschreitung der in der Tarifvereinbarung vorgesehenen Nettoumsatzrendite von 2,3 %.
Damit bestätigt sich eindrucksvoll der verantwortungsvolle Umgang mit diesem neuen Instrument der automatischen Differenzierung ohne weiteres Zustimmungserfordernis der Tarifvertragsparteien, was uns in unserer Forderung für anstehende Tarifverhandlungen bestärkt, dies dauerhaft in unsere Tarifverträge einzubauen.
Dual Studierende – Evaluierung mit der IG Metall Bezirksleitung Mitte
Im Rahmen des Verhandlungsergebnisses der letzten Tarifrunde hatten wir uns mit der IG Metall auf eine „Gemeinsame Erklärung zur Bedeutung des Fachkräftenachwuchses“ verständigt. Danach sollten die Tarifvertragsparteien unter anderem die Situation der Dual Studierenden in den Betrieben bis zum 30. September 2021 evaluieren.
Für den Fall, dass sich daraus dann tarifpolitischer Handlungsbedarf abgeleitet hätte, wären die Tarifvertragsparteien zeitnah in Verhandlungen hierzu eingetreten.
Aufgrund dieser Gemeinsamen Erklärung gab es auf Arbeitsebene zwei Gespräche unter Beteiligung betrieblicher Praktiker auf beiden Seiten. Diese jeweils ca. eineinhalbstündigen Gespräche fanden am 08. November 2021 und 24. Februar 2022 statt.
Wir haben im Rahmen der Verhandlungsgemeinschaft von M+E MITTE auf Arbeitsebene deutlich gemacht, dass es aus unserer Sicht hinsichtlich der Situation der Dual Studierenden keinen tarifpolitischen Handlungsbedarf gäbe, sodass aufgrund der gemeinsamen Erklärung Tarifverhandlungen nicht aufzunehmen sind. Dies insbesondere deshalb, weil nach einer bereits im Zuge der Tarifrunde durchgeführten Abfrage bei Unternehmen mit Dualen Studienangeboten die Ausgangslage in den Unternehmen sehr heterogen ist. Dabei haben sich betriebsindividuelle Regelungen zum Umgang mit Dual Studierenden herausgebildet, die allseits auf Akzeptanz stoßen und durch einen Tarifvertrag überlagert und ggfs. verwässert würden.
Auch eine im Rahmen des ersten Gesprächs ausführlich präsentierte Umfrage der IG Metall unter Dual Studierenden im Bezirk Mitte bestätigt überwiegend eine große Zufriedenheit dieser Personengruppe mit der eigenen Situation. Dies geht einher mit Rückmeldungen der Unternehmen, die von keinen nennenswerten Schwierigkeiten berichten, Dual Studierende für sich zu gewinnen.
In einer überraschenden Pressemitteilung vom 24. Februar 2022 zeigte sich die IG Metall Mitte dann enttäuscht über dieses Ergebnis und hatte erwogen, nun „den Druck in den Betrieben zu erhöhen“. Letztlich ist uns dazu aus den M+E-Mitte zugehörigen Unternehmen nichts bekannt geworden. Das Thema dürfte aber aufgrund der in Baden-Württemberg erfolgten Einbeziehung der Dualen Studenten in die Tarifverträge weiter auf der Agenda der IG Metall stehen.
Überarbeitung von Tarifverträgen – Manteltarifvertrag und Azubi-Regelungen
Unter Punkt IX. des Verhandlungsergebnisses vom 31. März 2021 findet sich folgende Vereinbarung: „Die Tarifvertragsparteien werden auf Arbeitsebene prüfen, ob und wenn ja wie sich die Tarifverträge in den jeweiligen Tarifgebieten von M+E MITTE, insbesondere Manteltarifvertrag und Tarifvertrag für Auszubildende in der Berufsausbildung, moderner, verständlicher und einfach handhabbarer, ohne materielle Veränderungen zu erzeugen, fassen lassen.“
Hierzu gab es zunächst M+E MITTE-intern nach einem Kickoff im September 2021 verschiedene Abstimmungsrunden unter Einbindung von interessierten Firmenvertretern. Auf dieser Arbeitsebene wurden zahlreiche tarifliche Regelungen identifiziert, die einer genaueren Betrachtung bedürfen. Eine Erkenntnis dabei war, dass ein insgesamt kürzerer Tarifvertrag nicht das vorrangig anzustrebende Ziel ist. Gerade in mittelständischen Betrieben wird der Tarifvertrag häufig als Arbeitsrecht „in a nutshell“ verstanden und entsprechende Regelungen (z.B. zu Anzeige- und Nachweispflichten bei Krankheit) von den Vorgesetzten auch den Beschäftigten gezeigt. Die Unterschrift der Gewerkschaft führt dann zu einer höheren Akzeptanz, das Gesagte so zu akzeptieren. Der Tarifvertrag stellt insoweit eine verbandliche Serviceleistung dar, das sehr unübersichtlich in verschiedensten Rechtsquellen geregelte Arbeitsrecht zu bündeln und gerade auch für kleinere und mittelständische Betriebe handhabbar zu machen.
Vorrangiges Ziel muss es daher sein, im Tarifvertrag enthaltene zu komplexe Regelungen zu vereinfachen – nicht zwingend, insgesamt auf weniger Text zukommen. Dabei stellt sich – ähnlich wie bei jüngsten Überarbeitungen in NRW und Baden-Württemberg – auch die Frage nach einer neuen, eher am Erwerbslebenszeitstrahl eines Beschäftigten orientierten Sortierung der Paragrafen.
Ein erstes Gespräch mit der IG Metall Bezirksleitung Mitte fand am 15. März 2022 statt – ein erster Termin zur Behandlung der ersten Paragrafen, insbesondere der Arbeitszeitregelungen am 4. Mai 2022. Es gilt dabei, sich den einzelnen Regelungen schrittweise zu nähern und vernünftige Vereinfachungen auszuloten. Dies unter fortlaufender Einbindung der bei den M+E MITTE-Verbänden installierten Arbeitskreise mit Unternehmensvertretern als „Praxis-Check“ und Berichten in die tarifpolitischen Entscheidungsgremien.
Da bei diesem Thema kein großer zeitlicher Handlungsdruck besteht – wir haben einen bestehenden und funktionierenden MTV – geht hier Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Auch die vorerwähnten Überarbeitungen waren mehrjährige Prozesse.
Entgeltumwandlung für Fahrrad-Leasing
Der Tarifvertrag Entgeltumwandlung (TV EUW) ermöglicht Entgeltumwandlung (nur) für betriebliche Altersversorgung – bereits seit Jahren gab es jedoch das Interesse von Beschäftigten und Unternehmen an Entgeltumwandlung auch für Fahrrad-Leasing / E-Bikes.
Auf einen firmenbezogenen PfalzMetall-Ergänzungstarifvertrag vom 30.07.2014 wurde eine weitere Vereinbarung im Jahr 2016 von unserer IGM-Bezirksleitung nach Direktive des IG Metall-Vorstandes abgelehnt: „Die Premiere war gleichzeitig die Dernière“ (so wörtlich die Rückmeldung aus Frankfurt).
Aufgrund vermehrten Drucks aus den Belegschaften aufgrund Interesses an Entgeltumwandlung für teure E-Bikes (als Beitrag für einen umweltfreundlichen Weg zur Arbeit) wurde das Thema von der IG Metall bundesweit im Herbst 2021 wieder aufgerufen unter Aufgabe ihres bisherigen Widerstandes gegen eine solche Entgeltumwandlung. In einigen Regionen – so auch bei uns im Bereich M+E MITTE – wurden daraufhin Gespräche aufgenommen, die allerdings auf IG Metall-Seite als zwingende Voraussetzung für eine Vereinbarung an eine arbeitgeberseitig nicht akzeptable Weitergabe eingesparter SV-Anteile geknüpft waren.
In Baden-Württemberg führte dies nun aktuell zur Vereinbarung eines entsprechenden Tarifvertrages. Wesentlicher Inhalt ist eine Öffnungsklausel für die Umwandlung tariflichen Entgelts für das Fahrrad-Leasing nebst wenigen Rahmenbedingungen. Die Nutzung dieser Öffnungsklausel erfolgt über eine freiwillige Betriebsvereinbarung – diese ergänzt also die tarifvertraglichen Optionen. Der Abschluss hat keinen Pilotcharakter – unsere Gespräche werden jedoch vor diesem Hintergrund fortgeführt.